16 september 2010 Wordt Abdel-Samad de islamitische Erasmus?

09.09.10 Welt online

Autor Abdel-Samad

“Der Islam wird als Kultur untergehen”

Abdel-Samad ist vom Westen-Hasser zum Islamreformer geworden. Er rechnet mit seiner Religion ab: “Das islamische Haus stinkt.”

Foto: dpa Autor Hamad Abdel-Samad wird in der muslimischen Welt für seine Thesen angefeindet
Von Dietrich Alexander

Hamad Abdel-Samad wurde 1972 als drittes von fünf Kindern in der Nähe von Kairo geboren. Sein Vater ist ein sunnitischer Imam. Im Alter von vier Jahren wurde Abdel-Samad von einem 15-Jährigen vergewaltigt. Als er elf Jahre alt war, wurde er noch einmal missbraucht, diesmal von einer Gruppe Jugendlicher. 1995 kam er im Alter von 23 Jahren als latenter Antisemit und Westen-Skeptiker nach Deutschland.

Während seines Politik-Studiums in Augsburg setzte ein Wandlungsprozess ein. Seine Metamorphose vom Westen-Hasser zum liberalen Islamreformer sowie seine problematische Kindheit verarbeitete Abdel-Samad in seinem autobiografischen Buch „Mein Abschied vom Himmel“ (2009), der ihm ein religiöses Rechtsgutachten (Fatwa) in seiner Heimat einbrachte und ihm Polzeischutz bescherte.

Er arbeitete für die Unesco, am Lehrstuhl für Islamwissenschaft in Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität in München. Sein zweites Buch „Der Untergang der islamischen Welt“ kommt in die deutschen Buchläden (Droemer, 240 Seiten, 18 Euro). Abdel-Samad ist verheiratet mit Connie, deren Mutter Japanerin und deren Vater Däne ist. Das Ehepaar lebt in München.

Hamed Abdel-Samad spricht leise, bedächtig. Der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler ist kein lauter Aufklärer, kein Krawallmacher. Er ist mehr Philosoph, denkt die Dinge vom Ende her und kommt zu einer vernichtenden Bilanz über die Welt, der er selbst entstammt:

Der Islam wird als politische und gesellschaftliche Idee, er wird als Kultur untergehen. Die islamische Welt habe ihr kulturelles und zivilisatorisches Konto überzogen und lebe sträflich über ihre Verhältnisse. Mit seiner schonungslosen Analyse hat er viele neue Freunde gewonnen – aber noch mehr alte verloren.

Der 38-jährige, der als einer der profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum gilt, wurde von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere in die Deutsche Islam Konferenz berufen.

Wissenswertes über den Koran

Der Koran ist die heilige Schrift des Islam und gilt als ältestes arabisches Prosawerk.

Nach muslimischem Glauben enthält er wörtliche Offenbarungen, die Allah zwischen 610 und 632 durch den Erzengel Gabriel in arabischer Sprache an den Propheten Mohammed richtete.

Der Koran (von arabisch „lesen”: das zu lesende Buch, das zu Rezitierende) ist für alle Muslime verbindlich. Die Gläubigen sollen den arabischen Originaltext studieren. Übersetzungen werden als Interpretation abgelehnt.

Die 114 Suren (Kapitel) wurden erst um 650 nach dem Tod Mohammeds gesammelt. Sie sind nicht chronologisch, sondern nach ihrer Länge angeordnet. Die 114. Sure enthält nur noch sechs Verse.

Im Koran finden sich die fünf Pfeiler des Islam: das Glaubensbekenntnis, tägliche Gebete, das Geben von Almosen, Fasten im Monat Ramadan sowie die Wallfahrt nach Mekka.

Außer religiösen Grundsätzen enthält er auch Vorschriften für moralisches Verhalten und zu bürgerlichen Pflichten.

WELT ONLINE: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, Sie seien konvertiert vom Glauben zum Wissen. Sind Sie nun also wissend, aber ungläubig?

Hamed Abdel-Samad: Nein. Für mich ist der persönliche Glaube eine Sache, über die man nicht sprechen sollte. Eigentlich passt der Glaube in keine Kategorie. Ich bin von einem Glauben konvertiert, wie ihn die meisten Muslime heute interpretieren: Als ein geschlossenes Gebäude, als absolute Wahrheit. Glauben bedeutet für mich aber, immer auf der Suche zu sein.

WELT ONLINE: Das heißt also, jedes Individuum macht mit sich selbst seinen Glauben ab und bekommt es nicht „serviert“ von selbst ernannten Autoritäten?

Abdel-Samad: Richtig. Keine vorgefertigten Antworten, keine vorgefertigten Wahrheiten. Ich bin vom Glauben zum Wissen konvertiert, indem ich versuche, mehr über meine Religion, Geschichte und Sprache zu erfahren und mich kritisch damit auseinanderzusetzen. Das ist das, was der Islam im Moment aus meiner Sicht dringend braucht.

WELT ONLINE: Meinen Sie das, wenn Sie in Ihrem Buch fordern, der Islam solle sich einer Inventur unterziehen?

Abdel-Samad: Ja, richtig.

Anschlag auf Mohammed-Zeichner
Islamist bedroht Mohammed-Karikaturisten
Foto: dpa/DPA Er sei “zu alt und zu starrköpfig”, um sich zu beugen, sagt Kurt Westergaard. Dabei musste die dänische Polizei sogar Angriffe auf das Leben des für seine umstrittenen Mohammed-Karikaturen bekannten Zeichner vereiteln.
Aarhus
Foto: AFP Am Neujahrsabend 2010 versuchte ein mit einem Messer und einer Axt bewaffneter Mann mit Verbindungen zu al-Qaida, in das Haus des Karikaturisten in Aarhus einzudringen.
Dänemark
Foto: AP Nachdem der 28-jährige Somalier seine Axt nach einem Polizisten geworfen hatte, schoss die Polizei auf den Angreifer und verletzte ihn dabei an Hand und Bein.
Westergaard
Foto: AP Westergaard blieb unverletzt.
Versuchter Anschlag auf Mohammed-Karikaturisten
Foto: dpa/DPA Nach Angaben des dänischen Geheimdienstes PET hatte der Mann enge Verbindungen zu führenden Mitgliedern von Al-Qaida in Ostafrika sowie zur somalischen Terror-Organisation al-Shabaab.
Versuchter Anschlag auf Mohammed-Karikaturisten
Foto: dpa/DPA Die dänische Zeitung “Jyllands-Posten” hatte im September
2005 Mohammed-Karikaturen gedruckt. Unter anderem wurde der Prophet mit einer Bombe in seinem Turban abgebildet.
Versuchter Anschlag auf Mohammed-Karikaturisten
Foto: dpa/DPA Viele Muslime empfinden jegliche Abbildung des Religionsstifters des Islam als Beleidigung.
Versuchter Anschlag auf Mohammed-Karikaturisten
Foto: dpa/DPA Bei wütenden Protesten weltweit starben mindestens 50 Menschen

WELT ONLINE: Und wie kann eine solche Inventur des Islam aussehen?

Abdel-Samad: Inventur, oder besser: geregelte Insolvenz, bedeutet, dass die islamische Welt sich von dem schweren Koffer trennen muss, der ihre Reise in die Zukunft behindert.

In dem Koffer liegt zum Beispiel die Unantastbarkeit der Religion. Es liegt darin ein absolutistisches Gottesbild, das zur Schablone für die Diktaturen geworden ist. In diesem Koffer lasten falsche Vor- und Feindbilder sowie ein unzeitgemäßes Gesellschaftsbild mit einer absurden Vorstellung vom Verhältnis zwischen Mann und Frau. Dadurch stagniert das Denken.

Für alle Miseren und Probleme muss der Westen als Sündenbock herhalten. Dadurch entsteht keinerlei positive Dynamik, die für eine Veränderung notwendig ist.

WELT ONLINE: Was also braucht der Islam: eine Renaissance oder eine Aufklärung?

Abdel-Samad: Ich benutze den Ausdruck geistige Revolution oder geistige Erneuerung, einen Moment der Ehrlichkeit mit sich selbst.

WELT ONLINE: Ist der Islam denn grundsätzlich wandlungsunfähig?

Abdel-Samad: Ich spreche den Menschen diese Fähigkeit nicht ab, und es geht mir in allererster Linie um die Menschen. Wenn ich daran nicht glauben würde, hätte ich das Buch nicht geschrieben.

WELT ONLINE: Sie haben als einer der ganz wenigen Muslime mit Fleming Rose gesprochen, jenem Feuilleton-Redakteur der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“, der die umstrittenen Mohammed-Karikaturen in Auftrag gegeben hat. Hat er Sie überzeugt, hat er recht?

Abdel-Samad: Es geht mir nie darum, ob Fleming Rose recht hat oder Thilo Sarrazin oder sonst wer. Es geht darum, dass sie alle das Recht haben, dies zu äußern oder jenes zu tun. Das müssen wir als Muslime akzeptieren. Wir müssen mit unseren Emotionen anders umgehen, unverkrampfter.

Herr Sarrazin hat uns ja nicht mit Steinen beworfen, sondern mit Worten. Er hat eine Meinung geäußert, Thesen aufgestellt. Und wir können mit Worten antworten. Nicht mit Sanktionen, Entlassungen oder Morddrohungen.

Eine Demokratie muss so etwas aushalten können. Und gerade mit Menschen, mit denen man nicht einer Meinung ist, sollte man reden.

WELT ONLINE: Warum ist die arabisch-islamische Welt Wort-unfähig, warum ist sie nicht in der Lage, sich argumentativ mit Problemen auseinanderzusetzen? Die Reaktionen der Muslime auf Kritik oder Häme sind zumeist gewalttätig, sie machen Angst.

Abdel-Samad: Es ist ein Symptom für eine untergehende Hochkultur. Die islamische Welt kann sich nicht damit abfinden, dass sie keine führende Rolle in der Welt mehr spielt. Sie ist gekränkt, besteht aber noch immer auf ihrem kulturellen Beitrag …

WELT ONLINE: … den es ja durchaus gegeben hat …

Abdel-Samad: … dafür können wir uns heute zwar leider keinen Döner mehr kaufen, aber ja, es hat diese Blütezeit des Islam gegeben. Noch heute leitete man daraus eine moralische Überlegenheit gegenüber dem Westen, eigentlich gegenüber dem Rest der Welt ab. Aber diesem Anspruch fehlt es an Substanz. Es gibt keine Argumente, die dafür sprächen, dass der Islam heute in der Welt mitreden könnte.

Weder wissenschaftlich noch kulturell sehen wir irgendwelche Beiträge aus der islamischen Welt, die der Menschheit zugutekämen. Das führt zu einer Art Schizophrenie: Auf der einen Seite Minderwertigkeitskomplexe gegenüber der westlichen Welt, auf der anderen Allmachtsvisionen.

Auf der einen Seite ein Mangel an Handlungsoptionen, auf der anderen der Drang, etwas tun zu müssen. Daraus resultiert Isolation, die wiederum zu Gewalt und Terror einer Minderheit führt, die leider im Moment den Ton angibt.

WELT ONLINE: Sie sprechen auch davon, dass Israel den Arabern ständig den Spiegel vorhält und ihnen vor Augen führt, in welch umfassender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stagnation sie verharren. Ist das auch ein Grund für den Hass auf die Juden?

Abdel-Samad: Ja. Israel ist ein Beispiel dafür, dass es auch im Nahen Osten eine florierende Wirtschaft, gepaart mit einer demokratischen Grundordnung, geben kann. Es liegt also nicht an der Region, sondern an der Geisteshaltung. Aus dem Zionismus ging ein demokratischer Staat hervor, der trotz aller militärischen Auseinandersetzungen demokratisch geblieben ist.

Die gleichen Kriege galten den arabischen Herrschern jedoch als Rechtfertigung dafür, Kriegsrecht zum Dauerzustand zu machen und Demokratie nicht zuzulassen.

Die arabisch-islamische Welt hat den Zug der Moderne verpasst, und ihr bleibt nichts anderes übrig, als auf dem Gleis zu stehen und auf den Lokführer zu fluchen – und das ist der Westen.

WELT ONLINE: Sie sagen, der Islam als Kultur ist dem Untergang geweiht. Gibt es Rettung oder auch nur einen Hoffnungsschimmer zum Beispiel in Indonesien, der Türkei oder in den Golfstaaten? Wer ist der Fahnenträger einer positiven Entwicklung?

Abdel-Samad: Einen Fahnenträger gibt es nicht, es gibt nur Karnevalisten. Die Türkei zeigte eine erfreuliche Entwicklung, die Früchte der Säkularisierung. Doch jetzt sehen wir die Zurücknahme vieler dieser Prozesse. Das Gleiche gilt für Malaysia und Indonesien, die vorbildliche Schritte gegangen sind. Aber ihr Einfluss auf die insgesamt 57 islamisch geprägten Staaten der Erde ist gering.

Im Gegenteil ist der theologische Einfluss Saudi-Arabiens oder Ägyptens auf solche sogenannten Reformstaaten wieder gewachsen. In diesen großen, einflussreichen Ländern aber wurden die Hausaufgaben nicht gemacht. Alles, was in Jahrzehnten unter den Teppich gekehrt wurde, kommt nun zum Vorschein. Das Haus ist kaum noch bewohnbar, weil es stinkt.

Es gibt sehr viel, was man vor 100 Jahren hätte tun müssen, um heute einigermaßen auf der Höhe der Welt sein zu können. Stattdessen geht es stärker in Richtung Re-Islamisierung als hin zu Öffnung und Demokratisierung.

Der Untergang der islamischen Welt ist logische Konsequenz einer seit vielen Jahrzehnten verfehlten Identitäts- und Bildungspolitik sowie einer asymmetrischen Beziehung zum Westen, die auf Paranoia und Ressentiments basiert.

WELT ONLINE: Was meinen Sie mit asymmetrischer Beziehung?

Abdel-Samad: Es kommt nicht mehr zu einer gegenseitigen Befruchtung, die islamische Welt hat aufgehört, vom Wissen anderer zu profitieren. Im Mittelalter war die islamische Kultur führend, weil sie kooperativer und integrationsfähiger war für das Wissen anderer. Die Werke der alten Griechen wurden übersetzt und weiterentwickelt. Man war offen und neugierig, hat mit Persern, Juden und Christen zusammengearbeitet und eine Kultur geschaffen.

Jetzt herrschen Verkrampftheit, Skepsis, ja Schadenfreude, wenn das Wissen scheitert, etwa wenn ein berühmter westlicher Genforscher an Krebs stirbt oder ein Spaceshuttle abstürzt. Viele Muslime sitzen da und ernähren sich von Ressentiments, Gekränktsein und Kränkung. Das ist keine gesunde Nahrung.

WELT ONLINE: Steuern wir also unvermeidlich auf einen Zusammenprall der Zivilisationen zu, wie Samuel Huntington es prognostizierte?

Abdel-Samad: Der ist längst da, nicht nur zwischen Westen und islamischer Welt, sondern auch innerhalb der islamischen Staaten – zwischen dem Geist der Öffnung und dem Konformitätsdruck, zwischen Innovation und Kontinuität. Es gibt viele junge Muslime, die die alten Strukturen verlassen und nach neuen Antworten suchen.

Aber sie finden keine demokratische Infrastruktur, keine Zivilgesellschaft vor, in die sie ihre Energien leiten könnten. Deshalb münden diese Energien in Chaos und Gewalt. Davon ernährt sich der Fundamentalismus.

WELT ONLINE: Können die muslimischen Intellektuellen im Ausland eine Rolle bei der Erneuerung der islamischen Welt spielen?

Abdel-Samad: Ja, so wie die russischen Dissidenten zur Zeit der Sowjetunion, Solschenizyn etwa oder Sacharow. Sie verließen ihre Systeme, machten deren Verbrechen öffentlich und – das ist entscheidend – veröffentlichten auch in ihrer Muttersprache. Ihre Werke wurden dort gelesen, wo sie Veränderung erzeugen sollten.

Das machen muslimische Exilanten aber nicht, sie bekommen Applaus in ihren Gastländern, aber in den islamischen Ländern kennt sie kaum jemand. Sie gleichen vielen kleinen Rinnsalen, die nie zu einem Fluss werden, den man Aufklärung nennen könnte. Daraus wird keine Bewegung entstehen, keine Dynamik der Veränderung.

Die Muslime, die hier in Europa leben, haben die große Chance, sich abzunabeln, eine neue Theologie zu entwickeln, die frei von Herrschaft und Autoritätshörigkeit ist. Stattdessen frieren sie das ein, was sie aus ihrer Heimat importiert haben, und nennen es Identität.

WELT ONLINE: Sie sprechen eine deutliche Sprache, vielen geht das zu weit.

Abdel-Samad: Ja, ich spreche eine deutliche Sprache. Wenn ich sage, dass es im Islam vielleicht einen Geburtsfehler gibt, dann distanzieren sich die Menschen von mir, auch säkulare Intellektuelle. Sie wollen das nicht hören.

WELT ONLINE: Haben Sie das schon einmal gesagt?

Abdel-Samad: Ja. Und ich habe böse Reaktionen erhalten. Ich sage auch, wir brauchen einen postkoranischen Diskurs, wir müssen nicht alles aus dem Koran ableiten. Wir müssen das hinter uns lassen, wir müssen neue Antworten suchen durch Verhandeln, nicht durch göttliche Botschaft. Die spirituelle Seite des Korans ist für alle Zeiten gültig.

Die juristisch-politische Seite aber ist entstanden, um die Angelegenheiten einer vormodernen Gemeinde im 7..Jahrhundert in der Stadt Medina zu regeln, und hat im 21..Jahrhundert nichts zu suchen. Viele sogenannte Reformer flirten mit der Moderne, sie wollen Sex mit ihr haben, aber nicht schwanger werden. Das ist verlogen. Man muss konsequenter werden und klarer sprechen. Uns fehlt die Zeit.

Wir steuern auf eine Katastrophe zu: Schwindende Ressourcen, ein Millionenheer von Ungebildeten in Perspektivlosigkeit, Wasserknappheit – wo bitte soll das hinführen? Wenn die islamische Welt zusammenbricht, werden wir die größte Völkerwanderung aller Zeiten in Richtung Europa erleben. Das ist keine Angstmacherei, das ist übermorgen.

WELT ONLINE: Ihre schärfsten Gegner bezeichnen Sie als Häretiker und wollen Sie zum Schweigen bringen.

Abdel-Samad: Ich bin ein Häretiker im positiven Sinne. Wir brauchen mehr von den Menschen, die den Islam und den Koran privatisieren. Es wird eine Reform in der islamischen Welt erst dann geben, wenn muslimische Häretiker unbehelligt auf der Straße laufen können. In zwei Wochen erscheint mein Buch auch auf Arabisch, und zwar in meiner Heimat Ägypten. Mitte Oktober werde ich selbst nach Ägypten reisen und öffentlich Stellung beziehen.

WELT ONLINE: Das ist doch lebensgefährlich, haben Sie keine Angst?

Abdel-Samad: Ich werde fahren, sonst macht das alles überhaupt keinen Sinn. Wenn man solche Thesen präsentiert, muss man auch bereit sein für die Diskussion danach. Nur so entsteht Dynamik, ein Buch allein kann das nicht leisten.

Ich bekomme viele Mails von jungen Menschen, die meine Thesen mit mir diskutieren. Nur dadurch entsteht Diskurs, hart in der Sache, aber mit Respekt im Dialog. Ich sage klar und hart, was ich meine, aber ich nehme den Menschen, die ich kritisiere, nicht ihre Würde.

WELT ONLINE: Haben Sie Hoffnung?

Abdel-Samad: Sehen Sie, wenn ein Wald brennt, wachsen an der vom Feuer zerstörten Stelle wieder Bäume. Wenn der Wald so unübersichtlich, verkommen und heruntergewirtschaftet ist, vielleicht ist es dann keine schlechte Entwicklung, wenn er brennt. Ich sage: Lasst es brennen – und lasst uns neu anfangen.

One thought on “16 september 2010 Wordt Abdel-Samad de islamitische Erasmus?

Leave a Reply